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Samuel Sommerhoff – meine Geschichte

Samuel Sommerhoff
Samuel Sommerhoff

Mein Name ist Samuel Sommerhoff, ich bin 21 Jahre alt und aktuell wohne ich mit meinem Vater und einem meiner zwei Brüder in Bochum. 

Geboren wurde ich im Jahr 1998 in Bonn und bis zum Februar 2015 hatte ich mit meinen Augen keinerlei Probleme. Zu der Zeit war ich 16 Jahre alt und besuchte die 10. Klasse eines Wittener Gymnasiums. 

Die ersten Symptome machten sich eines Abends bemerkbar, als ich mit meiner Familie einen Film schaute. Zuerst war es nur ein kleiner Bereich in meinem Gesichtsfeld mit dem etwas nicht in Ordnung schien. Ich teilte dies meinem Vater mit, jedoch dachten wir uns zunächst nichts dabei und machten einen Termin beim Augenarzt. Der Zustand verschlechterte sich in den darauffolgenden Wochen weiter. Als schließlich der Augenarzt feststellte, dass man die Sehschwäche nicht korrigieren konnte befand ich mich ein paar Stunden später in der Ambulanz eines Dortmunder Krankenhauses. Auch dort konnte nach 8 Stunden Untersuchung nicht die Ursache festgestellt werden. Mein Großvater, der selbst praktizierender Augenarzt war, meinte, es könne sich möglicherweise um eine Entzündung des Sehnervs handeln.  Da das die Ärzte ebenfalls für nicht unwahrscheinlich hielten, bekam ich in den folgenden Tagen hochdosierte Cortison-Infusionen, die jedoch zu keiner Besserung führten. Einige Wochen und einige Arztbesuche später äußerte ein Mediziner das erste Mal den Verdacht auf LHON und kurze Zeit darauf, das war im Juli desselben Jahres, stellte ein Humangenetiker die Diagnose auf die LHON Mutation 11778. Noch am selben Tag nahmen wir mit Prof. Dr. Klopstock vom Friedrich-Bauer-Institut in München Kontakt auf, der sogleich das Rezept für das Medikament Raxone vorbereitete, das ich seit der Zeit über zwei Jahre hinweg einnahm.  Von da an war ich gezwungen umzudenken. Ich hatte plötzlich einen vollständigen Umbruch meines Lebens vor mir und war gezwungen jegliche Hoffnung auf ein “In einem Jahr ist das Ganze wieder vorbei, das kann man behandeln”, seitens der Ärzte, aufzugeben.

In der Schule versuchte ich zwar weiterhin am Unterricht teilzunehmen, jedoch wurde mir schnell bewusst, dass ich, aufgrund der vielfältigen Probleme die ich hatte, das Abitur höchstwahrscheinlich nicht erfolgreich würde bestehen können. Da ich mich mit dem Gedanken einer im Unterricht anwesenden Assistenzkraft nicht anfreunden konnte, traf ich ein halbes Jahr später die Entscheidung auf das LWL Berufskolleg in Soest zu wechseln. Die meisten Lehrer meiner ehemaligen Schule gaben sich zwar viel Mühe auf mein Problem gesondert einzugehen, jedoch waren sie nie auf eine solche Situation vorbereitet worden. In Soest wurde mir nach kurzer Zeit klar, dass meine Entscheidung die Schule zu wechseln, die richtige war. In meiner Klasse befanden sich außer mir noch vier andere, deren Visus von rund 40% bis vollblind reichte. Im Vergleich zu meiner alten Klasse erlaubte die Klassengröße in Soest einen wesentlich individuelleren und flexibleren Unterricht.  Zudem konnte ich nach meinem Schulwechsel meinen Notenschnitt um gut 2 Notenpunkte steigern. 

Was meine damalige, seelische Situation anbetrifft, waren mir meine damalige Freundin und meine Familie eine große Stütze. Was mir in der Zeit jedoch am meisten geholfen hat, war mein Klavier. Da jene Probleme auch mein soziales Umfeld beeinträchtigten, und ich so häufig Schwierigkeiten hatte, diese Zeit sinnvoll zu nutzen, fing ich wieder an, Klavier zu spielen. Mit 6 Jahren saß ich das erste Mal am Klavier, hörte jedoch mit 14 auf, da ich in dieser Zeit größeren Gefallen an der E-Gitarre gefunden hatte. Als nun jedoch mit 16 LHON bei mir ausbrach, fing ich wieder damit an, und verbrachte so manchmal an einem Nachtmittag mehrere Stunden am Piano. Auf diese Weise hatte ich immer eine Herausforderung, an der ich mich gerade abarbeiten konnte, indem ich mir immer schwierigere Stücke suchte. Zudem war das ein (für manche aus meiner Familie gelegentlich auch sehr anstrengender) Weg, in dem ich meine Energie und alles an Gefühlen was so da war zu der Zeit, kanalisieren konnte. Mittlerweile bin ich bei Liszt und Rachmaninoff und spiele nach wie vor so gerne wie zu dem Zeitpunkt, an dem ich wieder damit angefangen habe. 

Samuel Sommerhoff in Shanghai
Samuel Sommerhoff in Shanghai

Kurz nachdem ich mein Abitur absolviert hatte, ging ich für vier Monate nach Shanghai, um Mandarin zu lernen. Ich hatte bereits einige Zeit zuvor damit angefangen, zwar nur für mich privat, aber für die wichtigsten Sätze im Alltag reichte es aus. Im Vorfeld organisierte ich alles, was nötig war, damit ich dort im Alltag zurechtkommen würde. Das Personal am Flughafen in Shanghai brachte mich zu dem Fahrer der Schule, der mich zu meiner Unterkunft brachte. Dort wurde ich am nächsten Morgen von einer Mitarbeiterin der Schule abgeholt, und sie begleitete mich in der ersten Woche auf dem Hin- und Rückweg. Im Unterricht arbeitete ich mit einer digitalen Lupe, mit der ich die Schriftzeichen so  weit vergrößern konnte, bis sie für mich lesbar waren. Was mir unter anderem zu Gute kam, und was auch der Grund war, weswegen ich mich für Shanghai entschieden hatte, war, dass man dort gelegentlich auch Leute findet, die Englisch sprechen. Zudem ist das Metrosystem ziemlich simpel aufgebaut, denn anders als in manchen deutschen Großstädten hat dort jede Linie ihr eigenes Gleis, wodurch ich mir schnell die wichtigsten Wege gut einprägen konnte. Nichts desto trotz war mir bewusst, dass es dort Probleme geben würde, die ich im Vorfeld nicht würde lösen können. Doch ob es darum ging, nach einer langen Nacht ein Taxi zu bestellen oder Hilfe zu suchen, als mein Handy einmal aufgrund der hohen Temperaturen für längere Zeit nicht funktionierte, immer fand ich jemanden, der bereit war mir zu helfen – wofür ich sehr dankbar bin.

Im Sommer 2019 habe ich mit meinem Studium an der Ruhr-Universität Bochum begonnen. Dort gibt es für die Studierenden, die einen Nachteilsausgleich haben, gesonderte Räumlichkeiten, in denen man arbeiten oder Klausuren schreiben kann. Bei den Klausuren greife ich auf Hilfsmittel, wie zum Beispiel Screen-Reader wie JAWS, Lesekameras zur Vergrößerung von Texten oder die in Israel entwickelte Orcam zurück, die vor kurzem von meiner Krankenkasse bewilligt wurde und mir besonders im Alltag eine große Hilfe ist. Hin und wieder gibt es jedoch auch Situationen, in denen man das Gespräch mit den Professoren suchen muss, weil sie zum Beispiel ihre Skripte nicht zur Verfügung stellen und erwarten, dass man eigene Mitschriften während der Vorlesung anfertigt, was natürlich schwierig ist, wenn man die Tafel nicht sieht. Aber bisher haben sich so gut wie alle in dem Bereich sehr kooperativ gezeigt, und haben sich am Ende zu einer individuellen Lösung bereit erklärt. Insofern möchte ich an dieser Stelle mit den Worten eines Arztes schließen: “For everything there´s a solution.“

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